Verbrechen und Strafen

Keine Unannehmlichkeit, die aus der strikten Einhaltung des Buchstabens der Strafgesetze entstehen kann, ist mit den Unannehmlichkeiten zu vergleichen, die sich aus ihrer Auslegung ergeben. Die momentane Unannehmlichkeit im ersteren Fall besteht zwar darin, die Worte des Gesetzes zu korrigieren, die die Ursache der Unsicherheit sind, eine ebenso einfache wie notwendige Aufgabe; aber die fatale Freiheit des Argumentierens, die Quelle so vieler willkürlicher und käuflicher Streitigkeiten, wird dadurch verhindert. Wenn ein fester Gesetzeskodex, der buchstabengetreu befolgt werden muss, dem Richter keine weitere Mühe lässt, als die Handlungen der Bürger zu untersuchen und über ihre Übereinstimmung mit dem geschriebenen Gesetz zu entscheiden; wenn der Maßstab für Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit, der die Handlungen des unwissenden wie des philosophischen Bürgers gleichermaßen bestimmen sollte, keine Streitfrage, sondern eine Tatsachenfrage ist; dann sind die Menschen nicht mehr der kleinlichen Tyrannei vieler Menschen unterworfen, die umso grausamer ist, je geringer die Distanz zwischen Leidendem und Leidensverursacher ist, und die verderblicher ist als die Tyrannei eines einzelnen Menschen, insofern die Tyrannei vieler nur durch die eines Einzelnen heilbar ist und die Grausamkeit eines Despoten nicht der Macht entspricht, die er besitzt, sondern den Hindernissen, auf die er stößt.